Seiten

Mittwoch, 12. Dezember 2018

Der 19€-Patient

Das hier wird kein Schmähartikel über unfähige Mediziner, ich glaube schon, dass alle Beteiligten bei der Geschichte nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Was es wird ist mir noch nicht ganz klar, ein Schmähartikel über unser medizinisches Versorgungssystem, über unsere Gesellschaft, die eigentlich gut ausgebildete Mediziner dazu bringt zu denken und zu handeln, wie sie es oft leider tun? Weiß nicht, wir werden sehen.

Medizin ist keine exakte Wissenschaft, das ist, was ich in meiner Ausbildung gelernt habe.
Ich bin Heilpraktikerin, und noch dazu eine von den handfesten. Ich bin nicht zimperlich und beschäftige mich gerne mit Muskeln und Knochen, ich mag Infektionskrankheiten und stehe auf Blut und Schleim. Wäre ich Ärztin, dann vermutlich orthopädische Chirurgin. In einer Heilpraktikerausbildung, wenn man sie denn an einer Schule macht, lernt man nicht, wie man jemandem einen Rosenquarz auf die Stirn legt und einen Zauberspruch aufsagt, damit dann alles gut wird. Man tanzt auch nicht bei Vollmond nackt über eine Wiese und stopft alle mit Globuli voll oder spickt sie mit Nadeln, wenn sie nicht schnell genug weglaufen können. Man beschäftigt sich eigentlich ausschließlich mit der wissenschaftlichen Seite der Medizin. Man wird in der Abschlussprüfung auch fast ausschließlich zu schulmedizinischen Themen befragt, heißt, man braucht fundierte Grundlagen und Kenntnisse in Anatomie, Physiologie und Pathologie, man muss ein Blutbild lesen und interpretieren können, man muss gängige Krankheitsbilder kennen, und auch mögliche Therapieformen, auch wenn man sie als HP aus rechtlichen Gründen eventuell gar nicht anwenden darf. Man muss wissen, was man darf und auch vor allem, was man nicht darf. Man muss wissen, wie man einen Notfall erkennt und was man dann tun muss. Außerdem bin ich bereits Akademikerin und spreche 5 Sprachen, 6, wenn man Latein dazu zählen will, ich bin wissenschaftliches Arbeiten gewohnt. Soll heißen, ich rede hier nicht über Dinge, von denen ich keine Ahnung habe.

Es gibt sehr viel mehr Dinge, Prozesse und Zusammenhänge im menschlichen Körper und Geist, über die die Medizin absolut NICHTS weiß, als Dinge, die klar definiert werden können. Medizin ist öfter ein Stochern in dieser trüben, fleischigen Suppe, die sich menschlicher Organismus nennt, als klares lösungsorientiertes Handeln. Sicher, Mediziner wissen und verstehen viel, und dürfen darauf zu recht stolz sein - wär ja auch noch schöner, wenn man so ewig studiert und sich durch eine ellenlange Assistenzarztausbildung gequält hat, und es wäre so gar nichts an Wissen hängen geblieben - sicher ist aber auch, es gibt mehr, das sie nicht wissen und nicht verstehen. Außerdem heißt etwas zu wissen nicht gleich auch danach zu handeln. Das gilt für alle Menschen, und damit auch für Mediziner, sonst gäbe es zum Beispiel keine Raucher, denn jeder weiß, dass das nicht das gesündeste ist, was man tun kann.
Mediziner, die das nicht anerkennen, sind selbstverliebte Idioten, um die man als Patient besser einen großen Bogen macht.
Ich weiß nicht, wer denen das "Gott in weiß" aufgepappt hat, sie selbst oder die anderen, und, ja, oft können sie ganz erstaunliche, wundersame Dinge bewirken - dennoch ist das "Gott-Etikett" nicht gerechtfertigt, und auch nicht Denke, die dahinter steckt.
Nun gut, der Tatsache, dass der menschliche Körper ein so unglaublich komplexes System ist, wird in unserer Art der Medizin Rechnung getragen, in dem man es zerlegt, in Untersysteme und damit in medizinische Fachdisziplinen. Irgendwo ist das logisch, nimm dir nur ein Stück aus dem Problem-Kuchen heraus und schau dir das dann ganz genau an, das Feld, das du abzugrasen hast wird kleiner, das ist effizient, grundsätzlich eigentlich eine gute Herangehensweise.
Blöd ist nur, dass all diese Einzelteile wieder zu einem Ganzen zusammen gefügt werden müssen, in hochkomplexen Systemen beeinflussen sich alle Teile mehr oder weniger stark gegenseitig. Alles, buchstäblich ALLES, hat Bezug zueinander, es ist also eigentlich nicht zulässig, als, sagen wir, Orthopäde Probleme mit, sagen wir, den Augen zu ignorieren.
Das ist aber, was in aller Regel, passiert, mit teilweise skurilen Auswirkungen und zu einem horrenden Preis, und ich rede hier wirklich von Geld.

Ich habe seit geraumer Zeit immer mal wieder Zahnschmerzen, unangenehm. Es tut nicht so richtig weh, ziept aber immer ein bisschen und manchmal fühlt es sich dann wirklich an, als würde man mir ein Messer in den Oberkiefer rammen. Ich bin Schmerzen gewohnt, ich habe seit ich 5 Jahre alt bin Migräne, ich kann mit sowas umgehen, in diesem Fall, leider.
Ich war beim Zahnarzt, der mir sagte, es sei soweit alles ok, mit den Zähnen, keine Karies. Die Idee, dass die Schmerzen auch von den Nasennebenhöhlen kommen könnten, kam von mir und auch die Idee, dass der Zahn im Unterkiefer, der schmerzte, ja auch nach oben funken könnte, weshalb es mir dann auch im Oberkiefer höllisch weh tut. Ersteres könne sein, letzteres sei nicht möglich.
Eigentlich, und da ärgere ich mich über mich selbst, weiß ich das besser, ich weiß ja, wo im Kopf welche Nerven verlaufen, aber, hey, der Typ ist Arzt, wie gesagt, der hat da lang für studiert.

Ich war beim HNO-Arzt - denn mittlerweile hatte ich Hörstörungen entwickelt - der konnte aber nichts sehen, was auf entzündliche Prozesse hätte hindeuten können, war aber wenigstens so fair zu sagen, dass das wiederum nichts zu heißen habe, und ich als Patient recht habe, wenn ich sage, ich habe Beschwerden. Er überwies mich zum CT, da man von außen nichts sehen kann, muss man reinschauen, nachvollziehbar, ja. Das mit dem Zahn haben sie aber gehört und verstanden?

Dann schwollen mir die Lymphknoten in Nacken und am Hals an, ich hatte immer wieder Fieberschübe und Schweißausbrüche, vor allem nachts, und habe unheimlich schnell an Gewicht verloren - 4 kg in 4 Wochen. Ein traumhaftes Diätresultat werden manche sagen, aber insgesamt ging es mir so richtig mies, und ich weiß auch, was diese Symptome bedeuten können. Das können Leitsymptome für eine Krebserkrankung sein und dieses Wissen trägt nicht eben zur Beruhigung bei.

Meine Hausärztin, die ich daraufhin dann aufsuchte, sagte, ich solle mich beruhigen, es sei Erkältungszeit, das sei also folgerichtig eine Erkältung, das sei ein Virus und jeder Onkologe freue sich über schmerzende Lymphknoten. Toll! Was? Wie sind Onkologen denn drauf? Geschenkt, ich weiß ja, was sie meinte. Angefasst hat sie mich übrigens nicht.
Ich habe so lange rumgenervt bis sie ein großes Blutbild gemacht hat, und das war nicht nur gut, es war fantastisch. Gut, ich bin also gesund. Toll! Was? Gesund? So fühlt sich das an? Ich kam keine drei Meter weit, ohne fast zusammen zu brechen, Herzrasen, Schwindel, Schwäche, Schweißausbrüche, Übelkeit...echt, jetzt gesund? Und, das mit dem Zahn haben sie aber gehört und verstanden, ja?
Als der Durchfall dazu kam, war ich dann nochmals bei der Hausärztin, es war immer noch ein Virus, ich solle einfach abwarten, oder, das sei ja viel wahrscheinlicher, es sei psychisch bedingt. Ich sehe gestresst aus. Toll! Was? Klar sehe ich gestresst aus, ich fühle mich sehr schlecht und weiß nicht, warum, das stresst mich etwas.
Ok, ist ja schon mal gut, dass eine psychische Komponente in Betracht gezogen wird, aber, nein liebe Hausärztin, einfach NEIN. Wegen des Durchfalls, mit Stuhlentfärbung, sollte ich jedenfalls zum Ultraschall. Frühest möglicher Termin: in zwei Wochen. Aha.
Ich komme jetzt aber nochmals auf den Zahn zurück...

Es reichte mir. Ich ging nochmals zum Zahnarzt, einem anderen Zahnarzt, der ein Röntgenbild meines Kiefers anfertigte: Offenbar hat meine Psyche eine meiner Zahnwurzeln beschädigt - blöde Psyche - sie hat dafür gesorgt, dass sich da Flüssigkeit bildet und das Ganze wiederum auf den Trigeminusnerv drückt.
Was ein Spaß! Der hat glücklicherweise drei Äste, die verlaufen grob in der Stirn, den Wangen und im Kinn, und der funkt ganz kräftig, wenn da was nicht stimmt - das kann ich bestätigen. Sie hat damit auch die Schmerzen verursacht und dadurch Ausweichbewegungen, was wiederum dazu führt, dass die Muskulatur auf der betroffenen Seite sich verhärtet und das Kiefergelenk in eine falsche Position zieht. Das mag das Kiefergelenk nicht und wird eher ungehalten, zum Dank schwillt das Gewebe an und klemmt Nerven und Gefäße und, weil der Gelenkspalt zu eng ist, drückt das ganze aufs Ohr... Schmerzen, Hörstörungen, Schwindel, Übelkeit, Herzrasen...
Ich muss den Zahnarzt angeschaut haben wie ein Mondkalb als er mir das einfach mal anhand dieses popeligen Röntgenbildes erklärt hat. Toll! Was? Kann ich sie bitte heiraten?
Hatte ich meine Hausärztin erwähnt, die meinte, das sei psychisch? Jetzt kuckt der Zahnarzt wie ein Mondkalb.

So, und jetzt zählen wir zusammen: das CT wurde gemacht, ohne Ergebnis, ein Blutbild wurde gemacht, ohne Ergebnis, der Ultraschall wird gemacht werden - scheiße nochmal, jetzt hab ich diesen blöden Termin, jetzt wird das gemacht - , vermutlich ohne Ergebnis, der Zahn wurde gemacht, mit dem Ergebnis, dass ich schmerzfrei bin und auch die anderen Symptome verschwunden sind. Aha.

Ich bin also eigentlich alles andere als ein 19€-Patient, wenn man es genau nimmt.
Wegen einer popeligen Zahnwurzel wurden völlig unnötig Kosten verursacht, die die Allgemeinheit tragen muss, es wurde Geld verschwendet, das man gut für jemanden hätte nutzen können, der wirklich schlimm krank ist.
Hätte denn nicht mal einer dieser Ärzte, ausgenommen natürlich der Zahnarzt, mit dem alles begann und der Zahnarzt, mit dem es endete, mir richtig zuhören und die Verknüpfung herstellen können?
Der Hinweis, "Gehen Sie doch nochmal zu einem anderen Zahnarzt." hätte ausgereicht tausende Euros zu sparen.

Das ärgert mich, es ärgert mich wirklich.
Und ich ärgere mich über mich selbst...